Psion by Vinge Joan D

Psion by Vinge Joan D

Autor:Vinge, Joan D. [Vinge, Joan D.]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Heyne
veröffentlicht: 2014-08-21T16:00:00+00:00


Als ich sie das nächste Mal sah, war die Anspannung deutlich in ihrem Gesicht geschrieben, und ich spürte plötzlich Zweifel ihren Geist durchzucken, während sie mich ansah. Zunächst konnte ich das nicht verstehen. Doch dann erinnerte ich mich, was Siebeling über mich gesagt hatte: uns alle zu verraten. »Jule, du mußt keine Angst vor mir haben.«

Sie erstarrte, doch dann entspannte sich ihr Gesicht wieder, bis sie sogar lächelte. »Ich weiß«, sagte sie. Und nun war sie sicher. Sie setzte sich neben mich, wand ihre Finger ineinander und sah mich an. »Du hast mir gefehlt, Cat. Sehr sogar. Nachdem … nachdem du weg warst. Ich bin froh, dich wiederzusehen.« Ihr Verstand berührte mich und zeigte mir, wie glücklich sie tatsächlich war. Ich mußte lächeln, und sie kannte wahrscheinlich den Grund dafür.

Von da an sah ich sie immer alleine, Siebeling dagegen nicht mehr. Sie verbrachte soviel Zeit wie möglich mit mir, wenn sie der Arbeit den Rücken kehren konnte, die man ihr zugeteilt hatte. Sie gab mir Suppe und wusch meinen Körper mit einem kühlen Tuch, immer so sanft und geduldig, wie ich sie in Erinnerung hatte, und so zwang sie mich zu dem Eingeständnis, daß ich leben würde, ob ich wollte oder nicht. In den ersten paar Tagen stellte ich keinerlei Fragen, weil ich die Antworten noch nicht ertragen hätte. Sie schien das zu verstehen, jedenfalls bemühte sie sich, mir nie mehr mitzuteilen, als ich wissen wollte.

Als ich nach einigen Tagen aufsitzen konnte, konnte ich durch das einzige Fenster die Berge sehen. Aber es hingen schwere Vorhänge vor dem Fenster, die meist geschlossen waren, da Schlackes Tag- und Nachtperioden zu kurz waren, weit entfernt von einem Standardtag. Die meisten Menschen waren den Tag- und Nachtzeiten der Erde angepaßt, und ihre Körper stellten sich nicht einfach deshalb um, weil sie auf einer neuen Welt lebten. Ich konnte nicht einmal aufstehen und zum Fenster gehen, um die Vorhänge selbst aufzuziehen, doch Jule brachte Blumen ins Zimmer und versprach mir lange Spaziergänge draußen, wenn ich wieder auf meinen Füßen stehen konnte.

Eines Tages las sie mir einige selbstgeschriebene Gedichte aus einem Notizbuch vor. Während des Lesens erwachten ernste Zweifel in ihr, und ich verstand, daß sie nun etwas sehr Persönliches mit mir teilte und nicht wußte, ob ich es wollte oder akzeptieren konnte. Doch dann erwachten die Bilder, die sie beschwor, zum Leben, und ich verstand sie. Einst hatte sie mir gesagt, daß Poesie so etwas wie Psi für sie war, weil Wort und Gedanke in ihrer klarsten Form destilliert wurden. Während sie las, verringerte sich die Distanz zwischen ihrer Stimme und der Berührung unserer Gedanken, Wort und Gedanke flössen zu einem strahlenden Lied zusammen, dann zu einem anderen. Viele der Gedichte waren voller Schmerz, aber das machte sie nur um so leichter verständlich. Ich glaube kaum, daß sie für sie dasselbe bedeuteten wie für mich, aber das spielt wahrscheinlich sowieso keine große Rolle.



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